Home  Druckversion  Sitemap 

- Ladakhi

 

Vielfalt in den Geschlechterbeziehungen Polygynie und Polyandrie bei den Ladakhi

von Dieter Adler

Ladakh liegt im Norden Indiens in der Provinz Jammu und Kaschmir.

Die Ladakhi sind eine Mischung aus zwei Völkern, die sich vor Jahrhunderten durchmischten: den aus dem Zentraltibet nach Indien wandernden Tibetern und den dardischen Völkern arischer Prägung aus Pakistan z.B. den Hunza. Obwohl sie offiziell unter indischer Herrschaft stehen, verwalten sich die Dörfer selbst: sie sind in Höhen zwischen 3000 und 4000 m Höhe kaum für die indische Exekutive erreichbar. Sie kennen keine Polizei, richten selbst, entscheiden demokratisch und versorgen sich weitestgehend autark. Sie leben seit Jahrhunderten abgeschieden von der Außenwelt, nichts veränderte ihren Lebensstil.


Die Ladakhi leben in kleinen Dörfern mit Einzelhäusern und hochgelegen Feldern und Almen. Nur 10 % der Landfläche kann allerdings genutzt werden. Sie bauen Weizen, Bohnen, und Kräuter an. Sie betreiben Viehzucht mit Ziegen und Yaks. Die Kern- oder Wahl-Familien stellen die Höfe dar mit den Eltern sowie bis zu 5 Kindern. Die Dorfgemeinschaft ist das wichtigste soziale Gut der Ladakhi. Die Ladakhi sind sehr religiös, im Süden-Osten Ladakhs sind sie islamisiert, im Nord-Westen mischen sich Gelukpa-Buddhismus und die animalische Bön-Religion. Die Ladakhi sind sehr friedliebende Menschen, die man eher als “captativ” gehemmt bezeichnen würde. Sie haben quasi kaum Geschäftssinn oder Gewinnambitionen. Kein Dorf hat fließendes Wasser, es gibt keine Elektrizität außer einigen Dörfern mit Solaranlagen. Die Ansiedlungen oberhalb 3500 bis 3900 m stellen die höchsten besiedelten Dörfer in der Welt dar.

Höfe und Äcker können aufgrund der geringen und nicht vermehrbaren Nutzfläche nicht geteilt werden. Daher muss das Gleichgewicht d.h. die Mitgliederzahl eines Hofes auf Dauer immer erhalten bleiben. Dadurch kommt es zu verschiedenen Eheformen. Der “Überschuss” an Männern oder Frauen innerhalb einer Familie wird oft als Mitgift “mitverheiratet”. D.h. eine Frau kann so mehrere Ehemänner haben, ein Mann mehrere Ehefrauen. Anders als z.B. in afrikanischen Ethnien ist hier die Polygynie wie auch die Polyandrie nicht Zeichen des Wohlstandes sondern manifest Versorgungspragmatismus. Eine Heirat mehrerer Brüder bedeutet nicht, dass alle an die Frau gebunden bleiben müssen. In der Regel hat eine Frau zwei Männer, mit denen sie wirklich verkehrt, wobei es einen “Hauptmann” gibt und einen Nebenmann. Der „Hauptmann” gibt vor, wann er und wann sein Bruder mit der Frau verkehren dürfen. Um Eifersucht zu vermeiden, werden die „Pläne” oft an äußere Notwendigkeiten geknüpft: z.B. wird der Nebenmann auf die Hochalm geschickt oder er verdrückt sich. Über die Vaterschaft gibt es keine Zweifel: angeblich wissen beide, wer der Vater dieses Kindes ist. Jedenfalls wird dies nach der Geburt klar “festgelegt”, so dass auch jedes Kindes seinen individuellen sozialen Vater hat.

Die Ehen sind traditionell arrangiert, Liebesheiraten sind selten und werden nicht gerne gesehen bis verpönt behandelt. In den islamischen Orten gibt es die Sonderform der Muta-Ehe. Bei dieser wird vor dem Dorf-Aga (religiöse Führer des Dorfer) die Dauer der Ehe vorher ausgehandelt. Es gibt keine Mindest- oder Maximaldauer, üblich sind ein bis zwei Jahre. Der Unterhalt für etwaige Kinder nach der geplanten Trennung wird vorher ausgehandelt und festgelegt. Manifest soll so Männern Nachkommenschaft garantiert werden, Frauen der Lebensunterhalt nach der Trennung.

Machtstrukturen in den Familien:

Wer im Haus bleibt, also nicht rausheiratet, wird Hausbesitzer. Ist es eine Frau, herrscht im Haus Matriarchat, ist es ein Mann, Patriarchat. Die Macht ist an das Haus gekoppelt.

Neben der Kernfamilie, die in einem Haus (Gehöft) wohnt und die bis zu drei Teilfamilien zeitweise beherbergt, spielt der Zusammenschluss verschiedener Gehöfte, die nicht immer in unmittelbarer Nachbarschaft sind zu so genannten Paspun-Gemeinschaften, eine große Rolle. Diese Paspun-Gemeinschaften verschiedener Höfe stellen “Wahlfamilien” oder kleine Gemeinschaften innerhalb aber auch außerhalb der Dorfgemeinschaft dar.

Die Kinder bei den Ladakhi sind früh abgelöst. Mit einem bis zwei Jahren werden sie abgestillt, über die Folgen des frühen Abstillens konnten wir nicht viel in Erfahrung bringen. Sie werden ab diesem Alter von den Geschwistern oder von Kindern befreundeter Familien (Paspun) betreut. Tagsüber sind die jüngeren Kinder sich selbst überlassen, während ältere auf den Feldern mithelfen. Ab 11 Jahren übernehmen die Kinder tagsüber den Haushalt und versorgen jüngere Kinder. Dabei spielt es keine Rolle, zu welcher Familie oder welchem Paspun die Kinder gehören. Die Kinder finden sich tagsüber nach ihren eigenen Bedürfnissen zusammen und spielen. Dann wird gerade dort, wo sich die Kinder befinden in den Haushalt gegangen, um gemeinsam zu essen. Auch die Versorgung bei oder durch ältere Mitbewohner, die nicht mehr der Feldarbeit nachgehen, ist möglich, ebenso wie die älteren Mitbewohner versorgt werden. Jugendliche werden häufig auf die Hochalmen geschickt, wo sie zwischen mehreren Wochen oder Monaten nahezu alleine leben.
Traditionell bleibt die älteste Tochter im Haus, um die Eltern zu versorgen. Wenn sie heiraten will, muss der Bräutigam eine Entschädigung an die Eltern zahlen.
In den Wintermonaten sind die Ladakhi vom November bis März/April bei Schneehöhen von zwei bis 5 Metern und Temperaturen von bis zu minus 30 Grad von der Außenwelt abgeschlossen. Daher werden ab August die Vorräte für den ganzen Winter eingebracht. Die Wintermonate verbringen die Ladakhi in den Häusern.

Sie sind sehr kontaktfreudig und gesprächig, auch Fremden gegenüber, kennen scheinbar keine Scheu, Argwohn oder Misstrauen.

Frauen und Männer sind gleichberechtigt, aber Männer und Frauen unternehmen nicht viel gemeinsam. Abends sitzen die Frauen in der Wohnküche und schlafen dort auch, die Männer schlafen in den Sommermonaten auf der Terrasse bzw. auf dem Dach des Hauses.

Die Kommunikation in der Familie ist sehr ausgeprägt und hat eine besondere Kultur: sie findet morgens beim Frühstück und abends beim Abendessen statt. Mittagsessen gibt es nur für die kleineren Kinder oder die Schulkinder, die nicht auf die Felder gehen oder die Tiere hüten. Frühstück und Abendessen dauern immer zwei Stunden. Hier wird viel geredet, manchmal finden wirr durcheinander quer durch den Raum verschiedene Unterhaltungen gleichzeitig statt. Ruhetage gibt es nicht.

Die Sexualität spielt bei den Ladakhi eher eine untergeordnete Rolle, sie sind nicht sehr aktiv. Sexualität findet im Schlafzimmer statt, das auch für andere Familienmitglieder oder Gäste ein Tabuort ist.

CMS von artmedic webdesign