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Paul Parin Jahresgedächtnis 2010

Parin Jahresgedächtnis 2010

Dr. Horst Brodbeck:

Dem Arzt, Neurologen, Psychoanalytiker, Ethnopsychoanalytiker und Schriftsteller Paul Parin ist die heutige Veranstaltung gewidmet.

Die von der Züricher Gruppe angestoßene ethnopsycho-analytische Feldforschung ging von zwei Grundannahmen aus, die zu einem dialektischen Verhältnis von Ethnologie und Psychoanalyse führten: die eine Grundannahme betrifft eine genetische Betrachtungsweise, dass nämlich Triebenergien aus dem Unbewussten heraus auf Persönlichkeitsentwicklung und Verhalten wirken, die zweite Grundannahme betrifft eine soziokulturelle Betrachtungsweise, dass nämlich soziokulturelle Phänomene bis in "verborgene Regungen der individuellen Psyche" (so Parin) hineinwirken. So entsteht bei Parin ein Koordinatensystem aus Sozialisation und gesellschaftlichen Verhältnissen (Christian Mier wird dazu mehr ausführen).

Die Begegnung mit Menschen aus einer uns fremden Kultur bringt somit neben der Faszination für das Fremde und Unbekannte auch immer die Gefahr, dass die eigenen Anpassungsprozesse, die uns durch die gesellschaftlichen Verhältnisse auferlegt wurden und die eigene Kultur ausmachen und zu unserem Selbstverständnis und zu unserem Identitätsgefühl geworden sind, infrage gestellt werden, was zu einer Quelle der Fremdenfeindlichkeit werden kann. Man könnte die These der Ethnopsychoanalyse daher so formulieren: was in der einen Gesellschaft durch die Kulturation unbewusst geworden ist, tritt uns in einer anderen als Fremdheit entgegen. Ethnopsychoanalyse im Sinne der Züricher Schule untersucht so den Zusammenhang von "inneren und äußeren Verhältnissen" nach den Regeln der psychoanalytischen Methode in einer fremden Kultur. Diese Methode bedient sich der Analyse von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand zum Verstehen fremder oder sollte man besser sagen "befremdlicher" Handlungs- und Bedeutungsstrukturen aus der Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen. Dabei wird die Subjektivität des Forschers in dieser Begegnung zum wichtigen Erkenntnis-instrument. Diese als "epidemiologische Umkehrung "bezeichnete Methodik geht auf George Devereux zurück.

Ethnopsychoanalyse bildet heute mit neuen methodologischen Ansätzen und Konzepten eine Brücke zu einer klinisch-kulturellen Praxis, die aus der Betreuung von Migranten hervorgegangen ist, die infolge von Flüchtlingsströmen und Migration mehr und mehr in unsere Praxen gekommen sind und mit ethnopsychoanalytisch orientierten Ansätzen therapiert werden. Die psychosozialen und therapeutischen Möglichkeiten in der Arbeit mit Migranten finden hier also eine wissenschaftliche Basis.

Florence Weiss, eine Schülerin Paul Parins, sagte von der Ethnopsychoanalyse: Sie wolle  verstehen, wie Menschen in einer anderen Kultur fühlen und denken, mit Konflikten, Ängsten und Zuneigung umgehen. Das könne man weder befragen noch beobachten, sondern nur in Beziehungen erfahren, in die man sich einlässt und die sich vertiefen.

Über einen ihrer Pioniere wollen wir heute mehr erfahren, über Paul Parin, der vor einem Jahr, am 18. Mai 2009 im Alter von 93 Jahren Zürich gestorben ist. Sein langes, ereignisreiches und in vielerlei Hinsicht unnachahmlich bewegtes Leben unter dem Motto "frei zu tun, was man für richtig hält" und das "kompromisslos und unerschütterlich, wie Christa Wolf in einer Laudatio zu seinem 90. Geburtstag sagte, ist durch ihn selber in weit über 250 medizinischen, psychoanalytischen, ethnopsycho-analytischen, kulturkritischen und schriftstellerischen Arbeiten dokumentiert.

Ich freue mich, dass wir Ihnen heute davon einen kleinen Ausschnitt zeigen können und mit Frau Dr. Barbara Rütten und Herrn Dr. Christian Maier zwei Vortragende gewinnen konnten, die über einen längeren Zeitraum mit Paul Parin zusammen-gearbeitet haben und uns ein authentisches Bild seiner Persönlichkeit vermitteln können. Dazu zeigen wir Ihnen - und das gleich zu Beginn - ein Filmporträt von Paul Parin, das im Oktober 2005 in Vorbereitung auf den 90. Geburtstag entstanden ist, das wir unserem Kollegen Dieter Adler verdanken, der nicht nur Psychoanalytiker sondern auch Filmemacher ist. Sein Porträt gehört mit zu den letzten filmischen Dokumenten über Paul Parin im Alter.

Nach der Mittagspause sehen Sie dann einen Originalfilm in einer gekürzten Fassung, den Goldy Parin-Matthey 1966 während des Besuches bei den Agni in Westafrika aufgenommen hatte, verbunden mit einem Kommentar dazu von Paul Parin, den dieser 1971 geschrieben hatte. Dem Programm entnehmen Sie, dass es außerdem drei kurze Lesungen von Parin-Texten geben wird, die wir als Beispiele für Parins schriftstellerische Ausnahmebegabung anbieten möchten. Abschließend findet ein Panel statt, wo sie nicht nur Fragen an die Vortragenden stellen können, sondern sie zu einer lebhaften Diskussion auch untereinander eingeladen sind.

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